Die Kunst des Stehaufmännchens
Tibetische Meditationsmeister sollen bereits vor rund 1000 Jahren gesagt haben: „Wenn man alles, was einem begegnet, als Möglichkeit zu innerem Wachstum ansieht, gewinnt man innere Stärke.“ Resilienz, oder die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen, ist die moderne Übersetzung der fernöstlichen Weisheit.
Heute begegnen wir dieser Wachstumschance auf mehreren Ebnen: körperlich, emotional und spirituell. Dabei stammt der Begriff „Resilienz“ aus der Physik. Er bezeichnet die Fähigkeit eines Werkstoffes, sich verformen zu lassen und dennoch in die ursprüngliche Form zurückzukehren.
„Und wie bekommen wir sie: die Resilienz?“
Die Resilienz-Studie (1955-1999) von Emmy Werner liefert Antworten. Die Professorin für Psychologie (University of California) untersuchte den Einfluss von biologischen und psychosozialen Risiken auf die Entwicklung von 698 Kindern, die 1955 auf der Insel Kauai (Hawaii) geboren wurden. Unterstützt von Kinderärzten und Mitarbeitern des Gesundheits- und Sozialdienstes fand sie heraus:
Ein Drittel der Kinder hatte ein hohes Entwicklungsrisiko, weil sie arm geboren wurden, während der Geburt Komplikationen ausgesetzt waren und in Familien aufwuchsen, die durch elterliche Psychopathologie und dauerhafte Disharmonie belastet waren.
Die Starken
Ein Drittel der Kinder, die diesen Risiken ausgesetzt waren, entwickelten sich zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen. Im Alter von 40 Jahren gab es in dieser Gruppe die niedrigste Rate an Todesfällen, chronischen Krankheiten und Scheidungen. Keiner hatte Konflikte mit dem Gesetz oder bezog Sozialhilfe. Alle hatten Arbeit. Die Ehen waren stabil. Sie schauten positiv in die Zukunft und hatten viel Mitgefühl für Menschen in Not. Diese Kinder waren und sind resilient.
Die starken Kinder von Kauai hatten etwas, das die anderen nicht hatten: Es gab eine liebevolle Bezugsperson in ihrem Leben. Eine solche Bindung macht so stark, dass negative Einflüsse dadurch wettgemacht werden.
Hilfe in der Not suchen
Auf diese Weise erlangen die Starken eine wichtige Fähigkeit. Weil sie gelernt haben, dass sie sich auf andere verlassen können, suchen sie sich in der Not die Hilfe, die sie brauchen. Denn auch wer stark ist, ist keineswegs immer gut drauf. Zum Starksein gehört es, nach einer Kündigung oder Scheidung nicht in ein tiefes Loch zu fallen. Wissenschaftler dachten zunächst, die starken Kinder von Kauai seien unverwundbar. Doch das sind sie nicht, weiß Emmy Werner:
„Sie sind verwundbar, aber unbesiegbar.“
Auch wer als Kind nicht derart gut ausgestattet wurde – und dazu gehören viele – kann im erwachsenen Leben Resilienz aufbauen. Ein therapeutisches Werkzeug ist der Perspektivwechsel. Statt in der Rolle des Opfers haften zu bleiben, hilft zu fragen:
- Wie kann ich aus einer Krise gestärkt hervorgehen?
- Wie lerne ich, Probleme als Herausforderung anzunehmen?
- Was muss ich tun, um fit und gesund zu bleiben?
Die Resilienz-Forschung wiederum unterscheidet innere und äußere Schutzfaktoren.
Zum inneren Schutz gehören Eigenschaften und Verhaltensweisen, die in der Person selbst liegen (Freundlichkeit, Ängstlichkeit, Gelassenheit). Hinzu kommen Haltungen, Glaubenssätze, Überzeugungen, Verhaltensstrategien und ganz wichtig: Positive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit.
Äußere Schutzfaktoren umfassen das unterstützende Umfeld: Familie, Schule, Sportverein, Vorbilder, enge Bezugsperson, Freundschaften, Schulbildung sowie eine Resilienz fördernde Umgebung, sprich Lebens- und Arbeitskultur.