Prägung schon im Mutterleib
Dass sich pränatale Erfahrungen wie Gewalt in der DNA eines Menschen niederschlagen, habe ich in meiner gestalttherapeutischen Ausbildung in Theorie und Praxis gelernt. Dabei ging es um existenzielle Erfahrungen von Krieg, Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg, die sich als Stress in den Körperzellen manifestieren und vererbt werden.
Ablagerung bis in dritte Generation
Forscher der Universität Konstanz haben nun mit einer Studie über Schwangere, die Gewalterfahrungen machten, nachgelegt: Das Erlebte lasse sich in den Genen ihrer Kinder nachlesen und werde bis in die dritte Generation weitergegeben. Die extreme psychische Belastung, so die Arbeitsgruppe um den Klinischen Psychologen Prof. Thomas Elbert, werde als Botschaft in den Genen transportiert und hänge sich als Methylgruppe an bestimmte Erbgut-Bausteine.
Diese DNA-Meythlisierung schalte Gene an oder ab. Die Konstanzer Wissenschaftlerin Fernanda Serpeloni hat in Brasilien für ihre Doktorarbeit dafür die Speichelproben von 380 Großmüttern, Müttern und Enkeln genommen und auf die veränderten Genabschnitte hin untersucht. Parallel erzählten die Frauen von ihren Erfahrungen häuslicher Gewalt oder im öffentlichen Raum. Die Schilderungen spiegelten sich in der Genanalyse.
Anfälligkeit für Aggression und Depression
In den Niederlanden wurde bereits zuvor das Erbgut von Menschen untersucht, deren Mütter im Hungerwinter 1944/45 schwanger mit ihnen waren. Diese litten später häufiger an Übergewicht und anderen Zivilisationskrankheiten. Bei den Kindern von Frauen, die während der Belagerung von Leningrad 1941 bis 1944 schwanger waren, war dies dagegen nicht der Fall. Der Grund: Während es in den Niederlanden nach 1945 rasch ein Überangebot an Nahrung gab, war dies in der Sowjetunion nicht der Fall.
All diese Erkenntnisse, so die Konstanzer Forscher, verstärken die Hypothese, dass sich solche Codierungen nicht innerhalb einer Generation wieder zurückprogrammieren. Und Kinder, die die DNA-Methylisierung aufweisen, die den Stress weiterträgt, werden ängstlicher, neigen zu Depression, Aggression oder sind wenig sensitiv gegenüber anderen.
Programmierungen erkennen und auflösen
Therapeutisches Arbeiten, das diese Defizite bewusst macht und den achtsamen Umgang mit sich selbst und anderen trainiert, kann diese Programmierung ausgleichen oder gar auflösen. In meiner Ausbildungsgruppe war signifikant, wie viele von uns, die emotionale Störungen hatten, Eltern oder Großeltern hatten, die massive Kriegserlebnisse als Täter oder Opfer erlebt hatten. Das zeigte sich in Sprachlosigkeit, Gefühlskälte oder Kommunikation in Imperativen (Kommandosprache).
Besonders eindrucksvoll ist mir ein Mann in Erinnerung, dessen Vater ihn bei Verfehlungen sadistisch bestrafte und sogar quälte. Der Sohn, der den Vater liebte, verortete dieses väterliche Verhalten für sich als normal und verinnerlichte als Erwachsener, dass er sich im Fall von Verfehlungen weiterhin selbst bestrafen, erniedrigen und demütigen müsse.