Wie die biodynamische Cranio-Sakral-Therapie hilft
Als Frederike in meine Praxis kommt, erzählt sie mir von ihrem Trauma. Sie wurde als 13-Jährige in der Schule massiv gemobbt. Seither ist morgendlicher Kopfschmerz ihr täglicher Begleiter. „Ich ertrage keine Disharmonie“, sagt die inzwischen 23-Jährige Schauspielerin. Und sie hat Angst, wenn es um den Tod geht. „Als eine Großtante gestorben ist, habe ich meine Fassung verloren. Es ging mir so zu Herzen“, berichtet Frederike und nimmt sich dabei kaum Zeit um zu atmen.
Zuerst kläre ich mit der jungen Frau, dass die Angst vor dem Tod normal ist. Fast jeder kennt dieses haltlose Gefühl beim Wahrnehmen der eigenen Sterblichkeit. Wir spalten dieses Gefühl oft ab, obwohl es uns nützlich ist, etwa wenn Gefahr droht. Ein Beispiel für diese Abspaltung beschreibt der Facharzt für Psychiatrie, Christian Dogs, in seinem Buch „Gefühle sind keine Krankheit“ sinngemäß: Es ist normal in ein Flugzeug zu steigen und Angst zu haben. Wer in einer Aluminiumröhre in 10.000 Metern Höhe sitzt, hat Angst. Umkehrschluss: Wer keine Flugangst hat, hat das Gefühl abgespalten.
Grundgefühle akzeptieren
Ich lade Frederike ein, ihre Angst zuzulassen und sie einfach als eines von fünf Grundgefühlen (Wut, Trauer, Angst, Freude und Scham) anzusehen. Mit Dr. Dogs Ausführung über Flugangst und der damit veränderten Perspektive auf die eigene Furcht, wird Frederike ruhiger. Auch ihr Atem beruhigt sich. So kann sie sich auf meine Liege legen und ihre erste biodynamische Cranio-Stunde erleben und genießen. Ich frage sie noch, was denn ihr größter Wunsch wäre, auf sie selbst bezogen. Wie sie sein möchte?
„Ich möchte stark sein“
Frederikes Antwort kommt spontan: „Ich möchte stark sein“. Ich frage nach, ob es „nur“ um Stärke geht oder ob ich sie dabei begleitend darf wie „erwachsener zu werden“. Das irritiert meine Klientin. Sie sei doch bereits erwachsen, sagt sie. Ich präzisiere mein Angebot: „Im Englischen gibt es das Wort Empowerment“, erkläre ich, „die deutsche Übersetzung ist nicht so gelungen: Bevollmächtigen“. Für mich ist eine Frau, die „Empowerment“ ist wie eine Königin im eigenen Leben. Die genau weiß, wann sie stark sein will und wann schwach. Wann es ihr nützt, objektiv zu bleiben und wann sie sich für eine Sache voll und ganz einbringen oder hingeben will.
So erklärt, stimmt Frederike zu. „Ja das ist ein schönes Bild, so möchte ich gerne sein“. Wir einigen uns und die Cranio-Session geht los. Was nicht exakt stimmt, denn auch das Vorgespräch ist Teil der therapeutischen Arbeit. Als Frederike auf der Liege liegt und ich über ihre Füße Kontakt zu ihrem Cranio-Rhythmus aufnehme, entspannt sie mehr und mehr. Wir beobachten nun, nach einer kleinen Einführung in die Cranio-Sakrale-Bewegung, wie ihre Füße, Beine und ihr Becken in Außen- und Innenrotation gehen.
Lauschen, was der Körper sagt
Sichtbar sind diese Bewegungen meist nicht, ich habe in meiner Ausbildung gelernt, sie zu fühlen. Meistens sind meine Augen beim Behandeln daher geschlossen. Ich bin bei mir und es ist wie ein Lauschen. Ich nehme wahr, was mir der Körper meiner Klienten sagen, zeigen möchte. Und folge dieser Beobachtung.
„Dem lieben Gott bei der Arbeit zusehen“
Bei Frederike ist rasch klar, dass ich meine Behandlung an ihrem Kopf weiterführe. Ich lege meine Hände zu einer Art Körbchen zusammen und bette dieses unter ihren Hinterkopf, der vor mir liegt. Gemeinsam lauschen wir auch hier dem Rhythmus. Weil ich meine Wahrnehmung im Kontakt mit Fredericke ständig abgleiche, kann sie mitgleiten und eine eigene Körperwahrnehmung entwickeln. Nach ein paar Minuten ist Frederike voll dabei und wir lauschen einfach dem, was ist. „Dem lieben Gott bei der Arbeit zusehen“, hat einmal eine von mir sehr geschätzte und erfahrene Cranio-Kollegin dazu gesagt. Also schauen auch Frederike und ich zu, wie sich ihre Hirnhäute und Schädelknochen entspannen. Wie die Wirbelsäule weicher wird und das Hirnwasser, der Liquor, störungsfrei zum Fließen kommt. Nach einer Weile lege ich meine Hände unter ihre Schulterblätter und wir verstärken mit unserer Vorstellungskraft diesen Prozess.
Frederike sagt mir, dass sie sich wie breiter und durchlässiger wahrnimmt. Wiederum nach etwas Zeit, in der ich sie bei ihrem Prozess mit zurückhaltender Aufmerksamkeit begleite, biete ich ihr den vorletzten Griff an. Die Hände wieder am Hinterhaupt geht es darum, alles zu verlangsamen. Als Einladung ausgesprochen initiiere ich schonend einen Stillpoint, wie Cranio-Therapeuten dazu sagen. Nach einer unbestimmten Dauer taucht Fredericke langsam wieder aus diesem Zustand auf, wir klären miteinander, dass die Behandlung für heute abgeschlossen ist.
Gelöst und entspannt
Lediglich auf der linken Seite liegend, mit meiner linken Hand am Os occipitale (Hinterhauptkochen) und meiner rechten Hand an ihrem Kreuzbein (Os sakrum), integrieren wir das Erlebte und Gefühlte. Nach der Behandlung liegt Frederike noch ein paar Minuten, während ich vor der Türe warte. Bereits im Nachgespräch sehe ich, wie gelöst meine Klientin vor mir sitzt und sie bestätigt, dass sie sich tief berührt fühlt und wie etwas berauscht.
„So etwas habe ich noch nie erlebt“
Drei Tage nach der Session ruft Frederike mich aufgeregt an. „Michael“, sagt sie, „so etwas habe ich noch nie erlebt“. Was denn sein, frage ich etwas besorgt. Es gehe ihr fantastisch gut, freut sie sich durchs Telefon bis an meinen Schreibtisch: Das morgendliche Kopfweh und auch die Migräne sind weg, bis auf ein leichtes Ziehen. Das wiederum kenne ich: Cranio ist ein bisschen wie Sport, wir trainieren und es bewegen sich Knochen und Körperteile, die wir im Alltag so in ihrer Artikulation nicht wahrnehmen.
Frederike berichtet noch weiter: Ihr Freund sagt ihr am Abend, dass sie ganz verändert wirke. So gelöst und viel entspannter. Und sie selbst merkt, wie ihre Leistungsfähigkeit langsam zurückkehrt und sie viel mehr Freude am Leben empfindet. Sie sagt, dass sie so dankbar für diese Session sei. Ihre Freude berührt mich. Sehr. Und erinnert mich an einen Satz meines Ausbilders Michael Schubert: „Give a session, have a session“. Cranio ist eine fantastische Arbeit.